Orca – Das intelligenteste Tier im Meer?
Dass Orcas außergewöhnlich intelligent sind, ist allenthalben zu hören. Sind sie vielleicht sogar die intelligentesten Tiere im Meer? Mit dem Verhalten der imposanten Schwertwale beschäftigen sich Forscher aus aller Welt.
Welches Tier nun wirklich das intelligenteste im Meer ist, darüber lässt sich sicher trefflich streiten. Oftmals werden hier Delfine angeführt. Und wie könnte man anders? Den eleganten Fischen wird oftmals eine hohe Empathie nachgesagt. So bieten diverse Einrichtungen das Schwimmen mit Delfinen an. Entweder als einmaliges und unvergessliches Urlaubs-Erlebnis inklusive Schnappschüsse für das heimische Fotoalbum. Oder sogar mit therapeutischer Funktion für geistig oder körperlich beeinträchtigte Menschen. Dies wird allerdings von Experten mittlerweile sehr kritisch gesehen. Die WDC (Whale and Dolphin Conservation), die weltweit führende Organisation zum Schutz der Tiere, gibt an, dass trotz anderslautender Wahrnehmung von Eltern oder Betreuungspersonen kein therapeutischer Erfolg festgestellt wurde.
Die Tierschutzorganisation spricht sich jedoch nicht nur gegen das Schwimmen mit den Tieren in Gefangenschaft aus, sondern auch gegen jenes in freier Wildbahn. Dies wird von mannigfaltigen Whale Watching Unternehmen angeboten. Auch hier, so die WDC, störe man die Delfine in ihrem natürlichen Lebensraum. Woher die weltweite Faszination für Delfine kommt? Sicherlich hat ihr possierliches Äußeres viel damit zu tun, mit der Schnauze, die immer zu grinsen scheint. Ebenso viel hat sicherlich die Fernsehserie „Flipper“ zu der Beliebtheit der Säugetiere beigetragen. Schließlich besteht der schwimmende Titelheld hier allerlei Abenteuer, löst Rätsel, ist der beste Freund der Menschen und übertölpelt sogar den einen oder anderen Gauner.
Durchwachsenes Image als „Killerwal“
Das größte Tier innerhalb der Familie der Delfine ist der Schwertwal, auch Orca genannt. Richtig gelesen: Der Orca ist lediglich der „große Bruder“ eine handelsüblichen Delfins. Ein derart positives Image, wie oben für Flipper und seine Artgenossen dargestellt, hat der Orca allerdings nicht. Der nicht grade rühmliche Beiname „Killerwal“, den viele Menschen fälschlicherweise benutzen, zeugt von einer eher mangelnden Lobby. Während der Delfin also als friedlich, freundlich und positiv angesehen wird, scheint der Orca vor allem mit Gefahr und Tod in Verbindung gebracht zu werden. Hier tut man den Orcas durchaus unrecht. Auch Delfine jagen ihre Beute, allerdings fressen sie lediglich kleine und vielleicht mal etwas größere Fische, denn mehr passt nicht in ihre Mäuler hinein.
Ein Orca hingegen ist in der Lage, menschliche Extremitäten abzubeißen und hat natürlich das Potential, für den Menschen tödlich zu sein. Durch ihre schiere Größe und die Tatsache, dass sie nun mal Raubtiere sind, stellen Orcas natürlich auch eine potentielle Gefahr für Menschen dar – allerdings nur dann, wenn letztere sich unvernünftig Verhalten. Dass man sich als Schwimmer nicht einem Rudel Orcas in freier Wildbahn nähern oder vom Boot eines Whalewatching-Anbieters springen sollte, versteht sich eigentlich von selbst. Genauso wenig, wie man sich bei einer Safari ohne Sicherheitsvorkehrung einer Herde Elefanten nähern würde.
Doch zu Orcas in Gefangenschaft gibt es immer wieder beunruhigende Berichterstattung. Dass es für Schwertwale nicht förderlich ist, in Schwimmbecken von Seaworld oder ähnlichen Einrichtungen aufzuwachsen, hat sich längst herumgesprochen. Immer wieder kam es zu Angriffen der Tiere gegen Trainer. Das trug vielerorten zu dem schlechten Image der Wale bei, ist aber letztlich nur ein Auswuchs nicht-artgerechter Haltung. Analog zu „Flipper“ bei den Delfinen griff dann auch ein Kinofilm zu Orcas ebenjene Thematik auf: In „Free Willy“ (1993) von Simon Wincer geht es um einen Orca, der in einem Vergnügungspark lebt und ein aggressives Verhalten aufweist. Als sich ein kleiner Junge mit ihm anfreundet, verhilft dieser dem Wal zur Flucht. Am Ende steht der ikonische Sprung über die Barriere der bösen Tierquäler, bei dem das wunderschöne Tier nochmal in voller Pracht erstrahlt.
Empathische Familien-Typen
Es ist dem Film definitiv anzurechnen, dass er auf den Punkt bringt: Schwertwale verfügen über eine extrem hohe Intelligenz. Unter allen Tieren haben sie das zweitgrößte Gehirn. Es kann bis zu sieben Kilogramm auf die Waage und ist damit im Durchschnitt viermal so groß, wie das menschliche Gehirn. Elefanten kommen auch nur auf fünf Kilogramm. Lediglich der Pottwal ist in dieser Statistik noch voraus. Sein Gehirn wiegt bis zu acht Kilogramm. Doch nicht nur die Masse macht es. Orcas sind sehr empathisch und laut der Tierschutzorganisation PETA zu einer Vielzahl an Gefühlen fähig. Darunter sind Angst, Freude, Frustration, Wut und Liebe. Stichwort Liebe: Die Meeressäuger leben in komplexen Sozialverbänden. So verlassen männliche Exemplare oftmals ihre Familien (Pods) und paaren sich mit anderen Weibchen, um den Genpool zu erweitern. Weibliche Tiere wenden sich hingegen von ihren Müttern ab, um ihre eigene Gruppe aufzubauen. Doch alle flügge gewordenen Schwertwale halten immer eine gewisse Verbundenheit zu ihrem ursprünglichen Pod. Forscher verfolgten ihre Verwandtschaftsverhältnisse immer weiter zurück und stellten fest, dass gemeinsame Mutterlinien oft bestehen bleiben.
Schwertwale leben also richtiggehend in Klan-Strukturen. Die Klans bleiben oftmals eine lange Zeit zusammen, können sich aber dann auch wieder auflösen. Die Kernfamilien hingegen bleiben das ganze Leben lang zusammen. Ein Wesen, dass sich in solch komplexen Sozialstrukturen organisiert, zeigt allein damit schon hohe Intelligenz. Auch wurde bereits nachgewiesen, dass Orcas in der Lage sind, sich selbst im Spiegel zu erkennen. Doch auch in der Art und Weise, wie sie fressen und jagen wird klar, dass sie zu den intelligentesten Tieren überhaupt gehören.
Raffinierte Jäger
Ein äußerst bekanntes Video zeigt einen Schwertwal in einem großen Becken. Dieser benutzt einen Köder, um Vögel anzulocken, die am Beckenrand umherwuseln. Der Jäger versucht gar nicht selbst überhastet nach den Vögeln zu schnappen. Er rechnet sich höhere Chancen aus, wenn einer der gefiederten Kameraden sich auf das im Wasser treibende Objekt konzentrieren und ihm somit ein wenig an Strecke entgegenkommen würde. So ist dann zu beobachten, wie der Wal den Köder sogar noch ein Stück zu Vögeln hinschiebt und sich selbst ein bisschen ins Becken zurückzieht. Diese geduldige Strategie, obwohl sich das Raubtier eigentlich im Jagdmodus befindet, zeugt von enormer Selbstbeherrschung, welche wiederum nur mit sehr hoher Intelligenz aufgebracht werden kann. Und schließlich geht die Taktik auf: Einer der Vögel zeigt ebenjene Selbstbeherrschung nicht. In völliger Verkennung der lauernden Gefahr kann er seine eigenen Triebe nicht kontrollieren und nimmt den Köder auf. In dem Moment schießt der Schwertwal nach vorne und schnappt zu. Damit ist für ihn ein großer Happen angerichtet.
A propos Nahrung: Der Speiseplan der schwarz-weißen Giganten ist äußerst vielfältig. Einige von ihnen fressen Fische. Bei anderen sind Säugetiere wie Pinguine, Robben oder sogar andere Wale im Beuteschema. Was genau die Speise der Wahl ist, hängt davon ab, wo auf der Welt sich die jeweiligen Schwertwale befinden. Denn Orcas sind extrem anpassungsfähig. Sie können sowohl unter tropischen Temperaturen als auch im eiskalten Wasser der Antarktis überleben. Auf flache Gewässer stellen sie sich ebenso ein, wie auf die Tiefen der Ozeane. Sie werden dementsprechend in verschiedene Ökotypen aufgegliedert. Alle diese Ökotypen stammen jedoch von gemeinsamen Vorfahren ab. Sie haben sich lediglich im Laufe der Zeit an ihre Umgebung angepasst. Wer so flexibel ist, der muss auch ein sehr guter Navigator sein. Schwertwale sind extrem umtriebig. In wenigen Tagen können sie tausende Kilometer zurücklegen.
Titelbild: Marius / Adobe Stock